[Werbung] „Ach“, sagt meine Kollegin, als ich erzähle, dass Ferropolis auf meinem Reiseprogramm steht. „Ich dachte, Du fährst nach Sachsen-Anhalt!“ Deshalb folgt hier zuerst ein kleiner Exkurs zur Bedeutung von Ferropolis, der Stadt aus Eisen. Der Ort liegt auf einer Halbinsel im Gremminer See bei Gräfenhainichen (Landkreis Wittenberg) und damit tatsächlich in Sachsen-Anhalt. Ferropolis ist Museum, Denkmal, Veranstaltungsort und neuerdings sogar Campingplatz mit Strandzugang. Ferropolis ist vor allem eines: außergewöhnlich!

Darum nennt sich Ferropolis Stadt aus Eisen

Als lebendiges Museum und Industriedenkmal erinnert Ferropolis an die 150 Jahre währende Epoche der Braunkohleförderung im mitteldeutschen Raum. Fünf gigantische Bagger, die früher Kohle und Abraum geschürft haben, geben Ferropolis den Namen „Stadt aus Eisen“.

Ob Absetzer, Schaufelradbagger, Eimerkettenbagger oder Raupensäulenschwenkbagger – die Giganten des Bergbaus versetzen mich immer wieder ins Staunen. Dabei ist es beileibe nicht meine erste Begegnung mit Tagebau-Großgeräten. Schließlich lebe ich seit mehr als 30 Jahren in einer Tagebauregion und durfte als Reporterin bereits einen Baggerführer an seinem Arbeitsplatz interviewen.

Suchbild mit Mensch unter dem Eimerkettenbagger Mad Max. Foto: Beate Ziehres, Reiselust-Mag

Suchbild mit Mensch: Wer findet Björn unter dem Eimerkettenbagger Mad Max?

Ferropolis, mannshohe Baggerschaufeln. Foto: Beate Ziehres, Reiselust-Mag

Jede einzelne der vielen Schaufeln von Mad Max ist mehr als „manns“-hoch.

Die Größe der Geräte ist beeindruckend. Ein Beispiel: Gemini, ein zweiteiliger und schwenkbarer Absetzer auf Schienen, hat in etwa die Ausmaße eines Wohnblocks. Das Gerät ist 30 Meter hoch, 125 Meter breit und wiegt 1980 Tonnen! Die Aufgabe eines Absetzers ist es, Abraum in den ausgekohlten Teil des Braunkohletagebaus zu kippen.

Als ich die steilen Treppen des Absetzers mit der wenig klangvollen Bezeichnung 1022 A2s 2240 erklimme, steigt mir die Vergangenheit förmlich in die Nase. Hier riecht es nach Eisen, nach Maschinen und nach Schmierfett. Die Aussicht von Geminis „Balkon“ auf die Stadt aus Eisen und den Gremminer See ist ebenfalls beeindruckend.

Aussicht vom Absetzer Gemini zum Gremminer See und zum Eimerkettenbagger Mad Max. Foto: Beate Ziehres, Reiselust-Mag

Absetzer mit Aussicht: Blick von Gemini zum Gremminer See und zum Eimerkettenbagger Mad Max.

Ferropolis: Blick von Gemini auf den Gremminer See nebst Strand. Foto: Beate Ziehres, Reiselust-Mag

Strand und Wasserfläche des Gremminer See, vom Absetzer Gemini aus gesehen.

Technik im Maschinenraum des Absetzers Gemini. Foto: Beate Ziehres, Reiselust-Mag

Solide Technik im Maschinenraum des Absetzers Gemini.

Naturidyll Gremminer See

Das spannungsreiche Zusammentreffen der technischen Giganten mit dem idyllischen See ist kein Zufall. Vielmehr haben alle Bergbaugroßgeräte an genau dieser Stelle ihren Dienst verrichtet. Damals, vor dem Jahr 2000, als es den Gremminer See noch nicht gab. Das Gewässer ist ein gefluteter Braunkohletagebau und die Halbinsel, auf der Ferropolis liegt, in Wirklichkeit ein Restkohlepfeiler.

Erst seit Ende August 2020 ist das Baden an zwei ausgewiesenen Badestellen erlaubt, eine davon liegt direkt vor der Arena von Ferropolis. Hier grabe ich die Zehen in den goldgelben Sand am Strand und kühle die Füße im frischen Nass, während neben mir im Schilf ein paar Enten schnattern und vor mir ein Standup-Paddler ruhig über das blaue Wasser gleitet. Auch Ruder- und Segelboote bis zu 10 Metern Länge dürfen das künstliche Idyll befahren und das Tauchen ist erlaubt.

Strand am Gremminer See in Ferropolis. Foto: Beate Ziehres, Reiselust-Mag

Chillen am Badestrand von Ferropolis. Foto: Beate Ziehres

Beate Ziehres mit den Füßen im Gremminer See.

Schön klar, schön frisch – das Wasser des Gremminer Sees kühlt meine Füße.

Hinter meinem Rücken erheben sich indes Mad Max, Medusa, Mosquito und Gemini. Die Absetzer und Bagger werfen ihre Schatten auf große, leere Flächen und bei sinkender Sonne sicherlich bis auf den Sandstrand.

Strand mit Baggern in Ferropolis. Foto: Beate Ziehres

Baden im Schatten von Tagebaugroßgeräten – in Ferropolis ist das möglich.

Camping in Ferropolis

Apropos sinkende Sonne: Neuerdings kann man auch die Nacht im Freilichtmuseum verbringen. Im gespenstischen Schatten der filigranen Monster aus Stahl dürfen Camper jetzt ihre Zelte aufschlagen. Oder ihre Wohnmobile parken. Übrigens ist Ferropolis der optimale Ausgangpunkt zur Erkundung zahlreicher Museen und Welterbe-Stätten in der Region.

Camping in Ferropolis. Foto: Beate Ziehres

Camping ist in Ferropolis wieder möglich.

An den Abenden, wenn die Tagesbesucher Ferropolis verlassen haben und die Sonne hinter den Bäumen rund um den Gremminer See versinkt, sei es besonders schön auf dem Gelände, versichert Kathleen. Kathleen führt mich über das Gelände, zeigt mir das Große und Ganze sowie technische Details.

Technische Details an Bergbaugroßgeräten – das klingt im Moment nicht wirklich spannend. Doch als Kathleen beispielsweise die Bedeutung des Pendels erklärt, das sich an jedem dieser Geräte befindet, sträuben sich mir die Nackenhaare. Ein Teammitglied hat dieses unscheinbare Pendel immer beobachtet, solange der Koloss in Betrieb war. Das Pendel zeigt die Neigung des Riesen aus Stahl an. Sobald die Neigung einen bestimmten Winkel erreicht, droht das Monster zu kippen. Das wollte und will wirklich niemand erleben!

Pendel am Bagger Mad Max, Ferropolis. Foto: Beate Ziehres, Reiselust-Mag

Elementar wichtiges Überwachungsinstrument eines Baggers: Das Pendel zeigt die Neigung des Geräts an.

Für Kathleen ist die Arbeit in Ferropolis eher Berufung denn Beruf. Sie liebt diesen Ort und hat hier sogar ihrem Liebsten das Jawort gegeben. Ihr Lieblingsplatz in den Abendstunden ist der Strand. Hierhin zieht sie sich nach der Arbeit gerne zurück, lässt die Gedanken schweifen und den Tag Revue passieren.

Geschichte von Ferropolis

Blicken wir noch einmal zu den Anfängen von Ferropolis zurück. Bis zum Jahr 1958 lag an der Stelle des Sees mitteldeutsche Landschaft und der Ort Gremmin. Dann wurde der Tagebau Golpa-Nord aufgeschlossen und Gremmin verschwand von der Landkarte. Die Menschen, die hier lebten, siedelten in benachbarte Orte um. Viele von ihnen arbeiteten im Tagebau.

Die ab 1964 in Golpa-Nord geförderte Braunkohle war wichtig zur Versorgung Ostdeutschlands mit Elektrizität. Sie wurde in den Kraftwerken Zschornewitz und Vockerode verstromt.

Nach dem Ende des Kohleabbaus in Golpa-Nord beginnt 1991 die Tagebausanierung. Und in den Köpfen einiger Kreativer im benachbarten Dessau wächst die Idee für Ferropolis. Die „Stadt aus Eisen“ wird im Dezember 1995 gegründet und Projekt der EXPO 2000.

Ferropolis, Absetzer Medusa. Foto: Beate Ziehres, Reiselust-Mag

Absetzer Medusa.

Im ersten Jahr des neuen Jahrtausends nimmt die Zukunft von Ferropolis richtig Form an: Die Arena für 25.000 Besucher wird mit einem Mikis-Theodorakis-Konzert eröffnet. Gleichzeitig beginnt die Flutung des Tagebau-Restlochs mit Grundwasser und Wasser aus dem Flüsschen Mulde. Die Sanierung der fünf Tagebaugroßgeräte erfolgt in den Jahren 2004 und 2005.

Ferropolis, Blick vom Absetzer Gemini auf den Schaufelradbagger Big Wheel. Foto: Beate Ziehres, Reiselust-Mag

Blick vom Absetzer Gemini auf den Schaufelradbagger Big Wheel.

Ferropolis als Veranstaltungsort für Festivals

Von Beginn an war Ferropolis mit seiner Arena als Ort für Großveranstaltungen konzipiert. Inzwischen kommen jährlich Zehntausende zu Konzerten, Festivals und Events aller Art. Kathleen schwärmt von der einzigartigen Atmosphäre, erzeugt durch die Spannung zwischen kraftvoller Musik, buntem Licht, Natur und den stählernen Kolossen rund um die Arena. Ich kann mir das Spektakel auch in der warmen Nachmittagssonne stehend gut vorstellen.

Konzerte

Kylie Minogue, Linkin Park und Die Ärzte haben in der Kulisse des Industriedenkmals gespielt, Herbert Grönemeyer und Die Toten Hosen natürlich auch. Das Musikfestival Melt und das Hip-Hop-Festival Splash sind in Ferropolis zuhause. 2016 zieht das Metal-Festival „With Full Force“ nach Ferropolis.

Iron Drift King

Einmal im Jahr kommt die europäische Drift-Elite nach Ferropolis, um sich ein hartes Rennen zu liefern. Mit ihren 1200 PS starken Rennwagen kämpfen sie um die perfekte Linie. Beim Iron Drift King brennt die Luft, es riecht nach Benzin und verbrannten Reifen, Nebelschwaden ziehen über die Strecke. Die Motorsportveranstaltung lockt in diesem Jahr von 19. bis 21. August die Zuschauer auf die Halbinsel.

Triathlon

Stählerne Muskeln spielen hin und wieder in Ferropolis ebenfalls eine Rolle – wenn der NeuseenMan-Triathlon ausgetragen wird. Die Athleten schwimmen im Gremminer See, radeln durch den Landkreis Wittenberg und laufen auf dem Uferrundweg. Die Teilnehmer können zwischen Sprint, Olympischer Distanz und Mitteldistanz wählen. Der nächste NeuseenMan-Triathlon findet am 28. und 29. Mai 2022 statt.

Drehort Ferropolis

Kathleen verschwindet über die leere Arena in Richtung See, als die Führung beendet ist. Es ist später Nachmittag und sie hat Feierabend. Unsere kleine Reisegruppe hingegen kehrt noch einmal um. Wir wollen einem Stück Film- und DDR-Geschichte nachspüren: Der Bagger Big Wheel, wie das Ungetüm mit dem riesigen Schaufelrad bezeichnenderweise genannt wird, war Drehort für den Film „Gundermann“. Denn Gerhard Gundermann, von dessen Leben der Film handelt, war nicht nur ein bekannter Liedermacher, sondern auch Baggerfahrer und – die unbekannte Seite – Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit.

Schauferadbagger Big Wheel als Drehort für "Gundermann". Foto: Beate Ziehres, Reiselust-Mag

Hier im Fahrerhaus des Schaufelradbaggers Big Wheel entstanden einige Szenen des Filmes „Gundermann“.

Im Führerhaus des Schaufelradbaggers kamen ihm Einfälle für seine Texte. Und so müssen wir das Führerhaus, das in „Gundermann“ mitspielte, noch einmal aus der Nähe ansehen, bevor wir Ferropolis den Rücken kehren.

Übrigens diente Ferropolis beispielsweise auch in einer Folge von Polizeiruf 110 als Kulisse.

Spuren der Bergleute von Golpa-Nord

Auf dem Weg zurück in die normale Welt passieren wir wieder das Ortsschild und die überdimensionalen Porträts von Bergleuten, die uns schon bei der Ankunft aufgefallen sind. Sie erinnern mich an Mount Rushmore, obwohl sie nicht in einen Berg gemeißelt sind, sondern – viel passender an dieser Stelle – uns von den Wänden alter Betriebsgebäude herunter anschauen. Es sind markante Gesichter, vom Leben und der Arbeit im Tagebau gezeichnet. Ich bilde mir ein, auch etwas Wehmut in ihren Augen zu sehen. Die Zeit, an die Ferropolis erinnert, wurde abgelöst von einer anderen Epoche. Aber dieser Ort hat eine neue Bestimmung gefunden. Und das ist gut so.

Ortsschild Ferropolis. Foto: Beate Ziehres, Reiselust-Mag

Am Ortseingang von Ferropolis wacht Walter Nitsche, Tagesschichtleiter im Tagebau Golpa-Nord.

Kunstprojekt "Spuren", Ferropolis. Foto: Beate Ziehres, Reiselust-Mag

Unvergessen und überlebensgroß am Betriebsgebäude festgehalten: die Bergleute Walter Nitsche, Hans-Georg Petschke und Peter Schlosser.

Anfahrt, Führungen, Eintritt

Hinweise zu den aktuellen Öffnungszeiten, zu Eintrittspreisen, den Möglichkeiten, ein online-Ticket zu erwerben, Führungen sowie zur Anreise und Neuigkeiten finden Sie detailliert und aktuell auf der Webseite von Ferropolis.

Die Reise nach Ferropolis fand in Kooperation mit dem Museumsverband Sachsen-Anhalt, der Investitions- und Marketing-Gesellschaft Sachsen-Anhalt (IMG) sowie der Staatskanzlei Sachsen-Anhalt statt. Vielen Dank für die Organisation!

Sandra von Tripp Tipp hat hier hier ihre Gedanken über Ferropolis niedergeschrieben.

Auch Burgdame Eva war dabei in Ferropolis. Hier ist ihr Beitrag.