Magisches Licht, Abgeschiedenheit und Einsamkeit prĂ€gen das Oderbruch. Die weite Landschaft am östlichen Rand Deutschlands fasziniert zunehmend Berliner, die großstĂ€dtischer Hektik entfliehen wollen. Ruhesuchende Touristen erkunden das weltvergessene Oderbruch auf entspannten Radtouren. Wir sind mit dem Cabrio unterwegs, um Geschichte, Kultur und kulinarische GenĂŒsse in diesem vertrĂ€umten Landstrich zu entdecken.

Oderbruch, Cabriotour, Beate Ziehres. Foto: Bernd Ewert

Auf Cabriotour durchs Oderbruch. Foto: Bernd Ewert

Das Oderbruch – erst kamen die Kolonisten, dann die Aussteiger

Das Oderbruch ist eine der östlichsten und eine der jĂŒngsten Gegenden Deutschlands. Erst vor 250 Jahren hat das Binnendelta der Oder sein heutiges Gesicht erhalten. Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts war die Auenlandschaft geprĂ€gt von WasserlĂ€ufen und SĂŒmpfen. Die Menschen lebten in Fischerdörfern und vom Fischfang.

Dass wir heute die Landschaft mit dem Auto erfahren können, ist dem Alten Fritz zu verdanken. So nennt man hier den preußischen König Friedrich II., der die Eindeichung und Trockenlegung des Oderbruchs veranlasste, mit Stolz.

Auf dem neu gewonnenen Land wurden neue Dörfer angelegt. Man warb in ganz Deutschland Siedler an, die Landwirtschaft betrieben. Sie hießen Kolonisten. Noch heute begegnet uns der Begriff Kolonisten im Oderbruch auf Schritt und Tritt.

Oderbruch, Neulietzegöricke, typisches Kolonistenhaus. Foto: Beate Ziehres

Typisches Kolonistenhaus in Neulietzegöricke.

Bis in die Gegenwart ist das Oderbruch durch das Wasser geprÀgt und manchmal auch bedroht. Immer wieder ereignen sich Hochwasserkatastrophen, zuletzt im Jahr 2010.

Zu DDR-Zeiten war das Oderbruch der GemĂŒseobstgarten von Berlin. An der landwirtschaftlichen Ausrichtung hat sich auch nach der Wende nichts geĂ€ndert. Außer dass inzwischen auch Wanderer und Radfahrer den Landstrich an der Oder fĂŒr sich entdeckt haben. Und die Berliner gerne die Ruhe im abgelegenen Oderbruch suchen.

Der Schauspieler Christian Schmidt, den ich im Theater am Rand in ZollbrĂŒcke an der Oder kennenlerne, hat gemeinsam mit seiner Frau Katharina ein Ferienhaus im Oderbruch.

Oderbruch, Theater am Rand: Christian Schmidt in "Kabakon". Foto: Beate Ziehres

Christian Schmidt im Theater am Rand in ZollbrĂŒcke, Oderbruch.

„Wenn man sich mit dem Oderbruch beschĂ€ftigt und tiefer eintaucht in die Region, dann lĂ€dt sich das Schritt fĂŒr Schritt auf. Das Oderbruch ist schon ein ganz besonderer Ort, ein Ort, an dem auch Aussteiger ihren Platz finden.“ Christian Schmidt

Tobias Morgenstern ist einer dieser Aussteiger. Der Musiker, Komponist und MitbegrĂŒnder des Theaters am Rand in ZollbrĂŒcke lebt mit seiner Familie im Oderbruch. Sein RĂŒckzugs- und Arbeitsort an der Oder, ein kleines Fachwerkhaus, wurde 1998 zur Keimzelle des außergewöhnlichen Theaters.

Oderbruch, Theater am Rand: Tobias Morgenstern in "Kabakon". Foto: Beate Ziehres

Tobias Morgenstern in „Kabakon“

„Ich bin hier rausgezogen, weil ich keine Lust mehr auf diese Gesellschaft hatte. Man konnte ja damals schon – so wie heute – keine Achtung mehr vor dem politischen Zustand haben. Deshalb hab ich mich aufs Land verpfiffen, wo ich meine Ruhe hab.“ Tobias Morgenstern

Neuhardenberg – wo der Staatskanzler sein Herz verloren hat

Inmitten von Feldern und Weite erscheint Schloss Neuhardenberg wie eine Fata Morgana. Nur ein paar HĂ€user umgeben das Schloss, das unter Staatskanzler Karl August FĂŒrst von Hardenberg sein heutiges Aussehen erhalten hat. Kein Geringerer als Karl Friedrich Schinkel verwandelte um 1820 die damals barocke in eine klassizistische Schlossanlage.

Oberbruch, Neuhardenberg Schloss. Foto: Beate Ziehres

Schloss Neuhardenberg

1944 wurde Schloss Neuhardenberg Schauplatz eines Dramas: Der damalige Gutsverwalter, Carl-Hans Graf von Hardenberg, war als WiderstandskĂ€mpfer am Hitler-Attentat beteiligt. Nach dem Scheitern des Umsturzes wollte sich der Graf in der Bibliothek erschießen, traf jedoch die Lunge anstatt das Herz.

Er wurde im KZ Sachsenhausen inhaftiert und von einem Mitgefangenen gesund gepflegt. Anschließend sollte ihm der Prozess gemacht werden. Der sicheren Todesstrafe entging von Hardenberg nur, weil die Rote Armee das KZ vorher befreite.

Nach dem Krieg wurde die Familie enteignet und verließ Neuhardenberg.

Übrigens stammen auch die PlĂ€ne fĂŒr den sehr weitlĂ€ufig angelegten Ort Neuhardenberg von Schinkel. Anfang des 19. Jahrhunderts hatte ein Brand mehr als die HĂ€lfte des ursprĂŒnglichen Dorfes zerstört. Damit sich ein solches UnglĂŒck nicht wiederholen konnte, ließ der Planer viele FreiflĂ€chen.

Oberbruch, Neuhardenberg. Foto: Beate Ziehres

Historische Allee zwischen Schloss und Dorf Neuhardenberg.

Schinkelkirche Neuhardenberg

An prominenter Stelle zwischen Schloss, einer alten Allee und dem Ort steht in Neuhardenberg die sogenannte Schinkelkirche. Hier treffen wir Silke Galle, die bestens ĂŒber das Gotteshaus Bescheid weiß. Abgesehen von der Architektur der Kirche sind hier drei Dinge bemerkenswert:

  • die blaue Deckenbemalung mit 6260 Sternen;
  • das Wappen der von Hardenbergs, das der damalige Pfarrer bereits 1986 als Zeichen des Widerstands wieder in der Kirche anbringen ließ;
  • das mumifizierte Herz des Staatskanzlers Karl August FĂŒrst von Hardenberg an der RĂŒckseite des Altars.
Oberbruch, Neuhardenberg Schinkelkirche. Foto: Beate Ziehres

Die Schinkelkirche in Neuhardenberg, Oderbruch.

Oberbruch, Neuhardenberg. Altar der Schinkelkirche. Foto: Beate Ziehres

Altarraum der Schinkelkirche in Neuhardenberg.

FĂŒrst von Hardenberg hatte die Kirche zu Lebzeiten in Auftrag gegeben. Hierher sollte nach seinem Tod sein Herz zurĂŒckkehren, so sein Wunsch. Deshalb können wir heute im Gotteshaus das Herz anschauen.

Anita von „Anita auf Reisen“ kam ĂŒbrigens auf ihrer Radtour entlang der MĂ€rkischen Schlössertour in Neuhardenberg vorbei und hat wunderschöne Impressionen eingefangen. Hier sind sie zu sehen.

Picknick im Park von Schloss Neuhardenberg

Bei unserem Besuch in Neuhardenberg genießen wir insbesondere den Schlosspark. Eines der Highlights im Park ist mit Sicherheit die allgegenwĂ€rtige Gartenseite des Schlosses. Immer wieder eröffnen sich neue, romantische Blickachsen mit dem Schloss im Mittelpunkt.

Oberbruch, Neuhardenberg Schloss vom Park aus gesehen. Foto: Beate Ziehres

Schloss Neuhardenberg vom Park aus gesehen.

Übrigens hat Katja vom Wellspa-Portal fĂŒrstlich im Schloss Neuhardenberg ĂŒbernachtet – ja, das ist möglich, denn das Schloss ist heute ein Hotel. Ihren reich bebilderten Bericht finden Sie hier.

Wir testen hingegen die KĂŒnste der SchlosskĂŒche, und zwar in Form eines Picknicks. Picknickkörbe können hier in unterschiedlichen AusfĂŒhrungen geordert werden. Auf der Wiese des Parks schmecken die kleinen Köstlichkeiten, die appetitlich in GlĂ€schen verpackt sind, superlecker. Die Picknickdecke ist ĂŒbrigens inklusive. Absolut empfehlenswert fĂŒr laue Sommerabende zu zweit!

Kolonistendorf Neulietzegöricke

In Neulietzegöricke sind wir wieder bei den einfachen Leuten, den sogenannten Kolonisten. Neulietzegöricke, kurz und liebevoll „Lietze“ genannt, ist das erste Kolonistendorf des Oderbruchs. Hier können wir den typischen Aufbau von Groß- und Kleinkolonistenstellen und eines planmĂ€ĂŸig angelegten Oderbruch-Kolonistendorfes studieren.

Den Kolonisten war es verboten, die Hofstellen, die ihnen bei der Ankunft zugewiesen wurden, weiterzuverkaufen. Sie konnten die Höfe nur innerhalb der Familie weitervererben. So kommt es, dass im Oderbruch bis heute Nachfahren der ersten Siedler leben.

Oderbruch, Neulietzegöricke, Dorfstraße. Foto: Beate Ziehres

Eine der beiden Dorfstraßen von Neulietzegöricke.

Oderbruch, Neulietzegöricke, Schachtgraben mit Blumengarten. Foto: Beate Ziehres

Blumengarten im Schachtgraben von Neulietzegöricke.

Interessant ist auch der Aufbau des Dorfes mit zwei parallel verlaufenden Dorfstraßen. Zwischen den beiden Straßen verlĂ€uft ein breiter Schachtgraben zur EntwĂ€sserung, der Anger, in dem heute meist GemĂŒse und Blumen gedeihen. Doch auch drei GebĂ€ude stehen auf erhöhten Stellen in diesem Bereich: die Kirche, das Dorfgemeinschaftshaus mit dem Feuerwehrhaus und dem Kolonisten-Kaffee sowie der Dorfkrug.

Das Wirtshaus in Neulietzegöricke stammt aus dem Jahr 1835 und ist damals wie heute Versammlungsort und Treffpunkt fĂŒr Einheimische und Reisende. Den Namen „Zum feuchten Willi“ trĂ€gt die GaststĂ€tte erst seit 1980. Damals war die Kneipe Drehort fĂŒr den Film „Salz, Brot und gute Laune“.

Oderbruch, Neulietzegöricke, Dorfkrug "Zum feuchten Willi". Foto: Beate Ziehres

Dorfkrug „Zum feuchten Willi“ in Neulietzegöricke.

An dem Sonntag, an dem wir in Neulietzegöricke sind, ist „Zum feuchten Willi“ allerdings weniger frequentiert. DafĂŒr ist im Kolonisten-Kaffee neben der Kirche kein Platz mehr zu bekommen. Kein Wunder: Es ist der Tag des offenen Denkmals und Neulitzegöricke steht als Dorfanlage mit den spezifischen FachwerkhĂ€usern und dem Schachtgraben unter Denkmalschutz.

So besichtigen wir noch die Dorfkirche, die als Einzeldenkmal ebenfalls unter Schutz gestellt ist und fahren weiter.

Oderbruch, Neulietzegöricke, auf der Empore der Kirche. Foto: Beate Ziehres

In der Kirche von Neulietzegöricke.

Groß Neuendorf mit Kulturhafen

Auf dem Weg nach Groß Neuendorf grĂ€bt mein Schatz tief in der persönlichen Geschichte. Wir kommen durch Letschin. Hier wohnte frĂŒher seine Tante Christa, die gerne und oft Ziel fĂŒr kleine Fluchten aus der Stadt war. TatsĂ€chlich: Das Haus, in dem sie wohnte, steht noch. Gleichwohl hat es deutlich bessere Zeiten gesehen.

Über holprige Alleen mit alten, knorrigen BĂ€umen geht es nordostwĂ€rts bis zur Oder. Groß Neuendorf war frĂŒher ein Fischerdorf. Nach der Trockenlegung des Oderbruchs verdienten die Einwohner ihr Geld mit Landwirtschaft. Heute zĂ€hlt der Tourismus zu den großen Einnahmequellen des Ortes.

Oderbruch, Groß Neuendorf: Weltzeituhr eines Scherzbolds. Foto: Beate Ziehres

Tickt so das Oderbruch? Weltzeituhr in Groß Neuendorf.

Besonderer Anziehungspunkt ist die zum Kulturhafen umgestaltete Hafenanlage am Oderdeich. Der Kulturhafen liegt am Oder-Neiße-Radweg und beheimatet

  • ein Hotel mit Restaurant im historischen Maschinenhaus,
  • den historischen Verladeturm mit TurmcafĂ©, Galerie und Ferienwohnung
  • Übernachtungsmöglichkeiten in historischen Bahnwaggons,
  • ein Barwaggon an der Oderterrasse
  • ein Theaterwaggon mit dem östlichsten Theater Deutschlands, dem TiB (Theater im Bahnwaggon).
Oderbruch, Kulturhafen Groß Neuendorf. Foto: Beate Ziehres

Kulturhafen Groß Neuendorf.

Eines der Highlights am Kulturhafen ist die beiden außergewöhnlich großen Schaukeln, die dazu einladen, bis in den Himmel zu schwingen – gefĂŒhlt zumindest. Ich stelle aber fest: Es ist gar nicht so einfach, sie in Bewegung zu versetzen. Zum GlĂŒck habe ich jemanden mit, der mir Anschwung geben kann.

Oberbruch, Groß Neuendorf Kulturhafen: Schaukel Foto: Bernd Ewert

Gar nicht so einfach, hier richtig ins Schaukeln zu kommen. Foto: Bernd Ewert

Auf der Oderterrasse kann man bei einem GetrĂ€nk im Liegestuhl entspannen und auf die trĂ€ge dahinfließende Oder schauen.

Die Seelower Höhen – Erinnerung an schlimme Zeiten

In den letzten Wochen des 2. Weltkrieges bahnte sich die Rote Armee nach dem OderĂŒbertritt einen Weg nach Berlin. Das Oderbruch wurde dabei zum Schauplatz erbitterter KĂ€mpfe. Die Schlacht um die Seelower Höhen ist in die Geschichte eingegangen. Zehntausende Angehörige der Roten Armee, der 1. Polnischen Armee und der deutschen Wehrmacht verloren ihr Leben, StĂ€dte und Dörfer wurden zerstört. Bis heute ist eine unbekannte Zahl Kriegstoter nicht gefunden worden.

Wer nun genau wissen will, was in Seelow passiert ist, der besuche die Seelower Höhen. Hier steht ein sowjetisches Ehrenmal, das die Sieger ihren KĂ€mpfern gewidmet haben. Außerdem umfasst das Areal eine KriegsgrĂ€berstĂ€tte und ein Museum.

Oderbruch, Seelower Höhen, Ehrenmal. Foto: Beate Ziehres

Das Ehrenmal auf den Seelower Höhen.

Ich fĂŒr meinen Teil bin wahrlich kein Freund von solchen Orten, erst recht nicht, wenn – wie in Seelow – KriegsgerĂ€t prĂ€sentiert wird. Deshalb ignoriere ich den Vorplatz samt Panzerausstellung geflissentlich. Auch dem Denkmal selbst kann ich nichts abgewinnen.

Doch der Film, der im Museum halbstĂŒndlich gezeigt wird, macht alles wieder wett. Mit viel Empathie wird hier das Geschehen in den letzten Tagen und Wochen des 2. Weltkrieges von allen Seiten beleuchtet.

Die Macher des Films kennen keine Helden, keine Sieger. Sie lassen in O-Tönen die Populisten des NS-Regimes zu Wort kommen. Wer nach diesem „Genuss“ immer noch bestreitet, dass eine heute recht populĂ€re Partei Nazi-GrundsĂ€tzen folgt, muss völlig verblendet oder dumm sein. Der Film benennt auch Strategen und Strategien der Alliierten und zeigt die Opfer des ganzen Wahnsinns. PrĂ€dikat: absolut empfehlenswert!

Theater am Rand in ZollbrĂŒcke

Am spĂ€ten Nachmittag fĂŒhrt unser Roadtrip wieder an den Ă€ußersten östlichen Rand Deutschlands: nach ZollbrĂŒcke. Wir sind im Theater am Rand angemeldet. Zu behaupten, dass wir Theaterkarten hĂ€tten, wĂ€re gelogen. Denn Tickets gibt es hier nicht. Man meldet sich an, um einen Platz in der Vorstellung zu bekommen. Denn umsonst möchte keiner an den Ă€ußersten Rand Deutschlands gefahren sein.

Weiteres Kuriosum im Theater am Rand: Die Theaterdirektoren verlangen keinen Eintritt, sondern Austritt. Und auch sonst ist dies das außergewöhnlichste Theater, das ich jemals besucht habe. Schon rein optisch ist hier alles schrĂ€g, rechte Winkel wird man vergebens suchen.

Oderbruch, Theater am Rand, ZollbrĂŒcke. Foto: Beate Ziehres

Alles schrÀg im Theater am Rand.

Ein bisschen erinnert mich das GebĂ€ude an ein Zirkuszelt aus dem Land der Hobbits. Das Publikum sitzt auf einer hölzernen TribĂŒne. Je nach Jahres- und Tageszeit sowie nach dem jeweiligen Programm kann das Theater auf mehreren Seiten geöffnet werden.

Bei unserem Besuch zerfließt das BĂŒhnenbild in der Weite des Oderbruchs. Die malerische Landschaft, der Sonnenuntergang und das kleine Windrad im Garten sind mehr als Kulisse, sie sind Teil der BĂŒhne.

Oderbruch, Theater am Rand, ZollbrĂŒcke: Kabakon Foto: Beate Ziehres

Eine von mehreren Pausen wĂ€hrend „Kabakon“ im Theater am Rand.

„WiderstĂ€ndige Kunst und Natur gehen eine Symbiose ein“ – so lautet ein Auszug aus der Philosophie des Theaters am Rand. Tobias Morgenstern, MitbegrĂŒnder des Theaters, erklĂ€rt es so:

„Wir machen nicht nur provokantes Theater, aber unser Ansatz ist eigentlich schon so. FĂŒr mich ist das Theater am Rand eine Art Ausstieg, Protest. Ich sehe uns nicht mehr in der Gesellschaft, sondern eher im Bereich der Subkultur.“ Tobias Morgenstern

Am Anfang sind viele Besucher ins Theater am Rand gekommen, um Co-GrĂŒnder Thomas RĂŒhmann zu sehen. Als Dr. Roland Heilmann war RĂŒhmann jahrelang in der Ärzteserie „In aller Freundschaft“ zu sehen. Und auch heute ist RĂŒhmann noch ein Zugpferd.

Oderbruch, Theater am Rand: Thomas RĂŒhmann in "Kabakon". Foto: Beate Ziehres

Thomas RĂŒhmann, MitbegrĂŒnder des Theaters am Rand, in „Kabakon“

Vom Wohnzimmertheater zum Markenzeichen des Oderbruchs

Es war im Jahr 1998, als die Freunde Tobias Morgenstern und Thomas RĂŒhmann in der Einsamkeit von Morgensterns Ferienhaus an der Oder eine Idee entwickelten: Sie studierten ein TheaterstĂŒck fĂŒr zwei Personen ein, das sie anschließend im Wohnzimmer des FachwerkhĂ€uschens auffĂŒhrten.

„In diesem Theater haben wir 8 Jahre gespielt. Wir waren ja nur zu dritt: eine Frau, die Wein verkauft hat und das Licht geschoben, RĂŒhmann und ich. So haben wir am Wochenende immer Theater gemacht. Das war schön. Wir haben gemeinsam am Kamin gegessen, danach gab es das StĂŒck. Das war so eine kleine Keimzelle, die beseelt war von Utopien, WĂŒnschen, Vorstellungen.“ Tobias Morgenstern

Heute ist das Fachwerkhaus das Herz des „Theaters am Rand“. Und aus dem kleinen Wohnzimmertheater an der Oder wurde ein Wallfahrtsort fĂŒr Kulturfreunde im Oderbruch. Manche sprechen sogar von einem Markenzeichen.

Kabakon oder Die Retter der Kokosnuss

An dem denkwĂŒrdigen Sonntagabend, an dem wir im Theater am Rand sind, wird „Kabakon“ gespielt. Zum zweiten Mal ĂŒberhaupt. Man versammelt sich draußen. Auf einer Tafel an der Hauswand steht „Dauer: 4 Stunden“. Ich bin mir sicher, dass das ein Scherz ist. Doch ich irre mich.

Oderbruch, Theater am Rand, ZollbrĂŒcke: Kabakon Foto: Beate Ziehres

In Kabakon fahren die Schauspieler im F8 vor.

Nach einer skurrilen „EinfĂŒhrung“ fordert Wolfgang Krause Zwieback das Publikum auf, sich auf die große Wiese hinter dem Theater zu begeben. Aus der Ferne nĂ€hert sich knatternd ein F8. Schließlich hĂ€lt der Wagen an. Heraus steigen die Akteure des StĂŒcks: die beiden Regisseure Tobias Morgenstern und Thomas RĂŒhmann sowie die Schauspieler Julia JĂ€ger und Christian Schmidt.

Nun starten die in fĂŒnf Gruppen aufgeteilten Besucher zu einer Tour ĂŒber das GelĂ€nde. Denn der erste Akt wird parallel auf fĂŒnf kleinen BĂŒhnen unter freiem Himmel gespielt. Wir erfahren, wie der junge Deutsche August Engelhardt Anfang des 20. Jahrhunderts einen Ort abseits der ZwĂ€nge und Konventionen Europas sucht. Einen Platz, an dem er seine Vorstellungen von einem naturverbundenen Leben umsetzen kann.

Oderbruch, Theater am Rand: Julia JĂ€ger in "Kabakon". Foto: Beate Ziehres

Julia JĂ€ger

August Engelhardts Ideale sind Nacktheit und Vegetarismus. In Deutsch-Neuguinea erwirbt der Held des StĂŒcks, das auf einem Roman von Christian Kracht basiert, eine Kokosplantage auf der Insel Kabakon. Er und seine JĂŒnger wollen sich ausschließlich von KokosnĂŒssen ernĂ€hren. Doch Kabakon entwickelt sich im Laufe der folgenden Akte StĂŒck fĂŒr StĂŒck vom Traum in einen Albtraum.

„Kabakon“ ist ErzĂ€hltheater vom Feinsten. Als sich das Drama um August Engelhardt dem Ende zuneigt und der historische F8 wieder auf der erweiterten BĂŒhne vorfĂ€hrt, sind tatsĂ€chlich vier kurzweilige Stunden vergangen! Wir verlassen das schrĂ€ge Theater mit dem festen Vorsatz wiederzukommen. Nicht nur, dass wir einen Ă€ußerst amĂŒsanten und trotzdem nachdenklich stimmenden Abend verlebt haben. Die Schauspieler hatten ebenfalls ihren Spaß an diesem StĂŒck und sind in  ihren Rollen – zumindest scheint mir das so – zu Hochform aufgelaufen.

„Willkommen in Polen“ – Abschluss eines Tags im Oderbruch

Unser Tag im Oderbruch nimmt ĂŒbrigens ein denkwĂŒrdiges Ende. Als wir in ZollbrĂŒcke aufbrechen, geht die Uhr schon gegen Mitternacht. LĂ€ngst hat mich mein Mobilfunkanbieter per SMS in Polen begrĂŒĂŸt und auch im Autoradio wird nur polnisch gesprochen. Google Maps reagiert auf meine Frage nach dem Weg zu unserer Unterkunft ĂŒberhaupt nicht.

Deshalb irren wir erst einmal im Mondschein von einer Umleitung zur nĂ€chsten Straßensperrung, bevor wir auf Umwegen die Bundesstraße finden.

Extra: Authentisch essen im Gasthof „Zum Alten Fritz“

In Altlewin essen wir im wohl bekanntesten Restaurant des Oderbruchs zu Mittag: im Gasthof „Zum Alten Fritz“. Obwohl die Oder einige Kilometer entfernt ist, zĂ€hlt Fisch in vielen Variationen zu den SpezialitĂ€ten des Restaurants.

Oderbruch: Altlewin. Gaststube "Zum alten Fritz". Foto: Beate Ziehres

Gaststube „Zum alten Fritz“ in Altlewin, Oderbruch.

Oderbruch: Altlewin. "Zum alten Fritz". Foto: Beate Ziehres

So gemĂŒtlich sitzt man draußen beim „Alten Fritz“.

Wir sitzen draußen in der Sonne unter hohen BĂ€umen. Die PlĂ€tze vor dem Haus sind ĂŒbrigens an diesem herrlichen Sonntag außerordentlich beliebt. Ich genehmige mir Brat-Aal – hatte ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr – und werde nicht enttĂ€uscht. Der Aal ist schmackhaft und knusprig. Dazu gibt es Kohl, Bratkartoffeln und einen gemischten Salat. So lĂ€sst es sich aushalten.

Oderbruch: Altlewin, "Zum alten Fritz", Brataal Foto: Beate Ziehres

Brat-Aal im Restaurant „Zum alten Fritz“.

Durchs Oderbruch mit dem Bus

Altlewin wird ebenso wie Neulitzegöricke und das Theater am Rand in ZollbrĂŒcke vom Oderbus angefahren, der neuen Buslinie 879 durch das Oderbruch. 32 Haltestellen liegen zwischen Bad Freienwalde und Wriezen. Der Bus fĂ€hrt von Ostern bis Oktober samstags, sonntags und an Feiertagen. Mehr ĂŒber die Route und den Fahrplan finden Sie hier .

Alle Fotos, falls nicht anders vermerkt: Beate Ziehres

Übrigens: Zum Oderbruch zĂ€hlt auch Altfriedland mit dem Kloster und der Klosterkirche. Über Altfriedland lesen Sie ausfĂŒhrlich in meinem Beitrag ĂŒber Buckow und die MĂ€rkische Schweiz.

Ganz lieben Dank an die Mitarbeiterinnen vom Seenland Oder-Spree, die unsere Cabrio-Tour durch das Oderbruch mit vielen Insider-Tipps, einem Routenplan und organisatorischer Vorarbeit unterstĂŒtzt haben.Â